Jens Weidmann kämpft einen einsamen Kampf. Als Einziger im
EZB-Rat stellt sich der Bundesbank-Chef gegen ein unbegrenztes
Anleihekaufprogramm. Das bringt ihm viel Ärger in der Politik, aber auch
viel Ruhm in der Bevölkerung - und den kann er für seine Zwecke nutzen.
Interessant ist die Schlittenfahrt des Spiegel, der beim Vorspiel unter anderem schreibt:
Hamburg - An diesem Donnerstag wird es um Jens Weidmann
wieder einmal
einsam. Für den Vormittag ist eine Sitzung des Rats der Europäischen
Zentralbank (EZB) angesetzt. Dort trifft der Bundesbank-Präsident die
Chefs der 16 anderen Notenbanken der Euro-Zone, dazu noch die fünf
Mitglieder des EZB-Direktoriums. Insgesamt werden also
22 Leute um einen
großen Tisch im Frankfurter Euro-Tower sitzen - und
Weidmann wird dabei
ganz allein sein.
Der 44-Jährige hat sich daran gewöhnt, seine Position gegen den
Widerstand seiner Kollegen
zu vertreten. Und er hat sich dafür
entschieden,
das ganz offen zu tun, nicht mehr nur in den Hinterzimmern.
"Ich vertrete die Position, die ich als Bundesbank-Präsident und
Mitglied des EZB-Rats für richtig halte",
sagte er jüngst fast trotzig im SPIEGEL-Interview.
Dabei geht es im Streit mit EZB-Präsident
Mario Draghi
und den meisten anderen Notenbankern eher darum, was Weidmann für
falsch hält: Es sind die geplanten Anleihekäufe, die ihn so aufregen.
Die EZB will massenhaft Staatsanleihen europäischer Krisenländer einsammeln, um so die Marktzinsen für die Papiere zu drücken.
Seit Dienstag liegt die Beschlussvorlage des Direktoriums allen
Notenbanken der Euro-Zone vor. Am Mittwochabend treffen sich die
Notenbanker zum informellen Abendessen, am Donnerstag soll es dann zum
Schwur kommen. Wer kann was mittragen? Skeptiker gibt es mehrere. Doch
Weidmann ist der Einzige, der gar nichts mittragen will. Er hält die
Anleihekäufe für eine indirekte Staatsfinanzierung und fürchtet, sie
könnten "süchtig machen wie eine Droge".
Vergangene Woche machten sogar Gerüchte die Runde, Weidmann habe über seinen Rücktritt nachgedacht und
diese Gedanken mit Bundeskanzlerin Angela Merkel geteilt.
Er wäre nicht der erste Bundesbank-Chef, der hinschmeißt, weil er im
EZB-Rat isoliert ist. Schon sein Vorgänger Axel Weber verließ Anfang
vergangenen Jahres aus Protest gegen ein erstes Anleihekaufprogramm
seinen Posten. Kurz darauf ging auch der deutsche EZB-Chefvolkswirt
Jürgen Stark. Und nun also Weidmann?
Die, die ihn kennen, glauben nicht daran. "Ich bin mir sicher, dass
er nicht zurücktritt", sagt Manfred J.M. Neumann, Professor an der
Universität Bonn und Weidmanns Doktorvater. Als Weidmann den Posten
angetreten habe, sei dem Bundesbank-Chef klar gewesen, dass er es mit
seinen Positionen im EZB-Rat schwer haben würde.
Was würde ihm ein Rücktritt auch nutzen? Egal wer nach ihm folgte,
keiner könnte seine Position besser vertreten als er selbst. "Wenn er
zurücktreten würde, wäre die deutsche Position auf Dauer beschädigt",
sagt Bundesbank-Kenner Neumann.
Als wahrscheinlicher gilt deshalb, dass Weidmann seine Macht
austestet. Er weiß, dass
die Kanzlerin es sich nicht leisten kann, drei
Top-Notenbanker innerhalb von zwei Jahren zu verschleißen. Allerdings
kommt ihr auch der geplante Einsatz der EZB gelegen, um im Kampf gegen
die Euro-Krise Zeit zu gewinnen. Und so schlingert die Kanzlerin mal
wieder mehr oder weniger elegant durch die Krise. Im Ausland unterstützt
sie die Haltung der EZB. Zu Hause lobt sie Weidmann. Obwohl beides
zusammen eigentlich nicht geht.
"Die Kanzlerin stellt sich zwar hinter Weidmann, aber nicht hinter
die Geldpolitik, die er vertritt", sagt Wirtschaftsprofessor Neumann.
"Ich habe den Eindruck, dass
die Bundesregierung gerne beide Augen
zudrücken und das Anleihekaufprogramm durchwinken würde."
Noch hat er die Popularitätskarte nicht gespielt
Doch ganz so allein, wie es auf den ersten Blick scheint, ist der
Bundesbank-Präsident nicht. Viele Abgeordnete im Bundestag sehen die
Politik der EZB ähnlich kritisch wie Weidmann und sichern ihm, wie der
Unionsfraktionsvize Michael Meister, ihre "volle Unterstützung" zu.
Selbst Finanzminister Wolfgang Schäuble, eigentlich ein überzeugter
Euro-Retter, mahnte am Montag mit Blick auf die EZB, man müsse "sehr
darauf achten, dass wir jetzt nicht auch da wieder falsche Erwartungen
schaffen". Es müsse klar bleiben: "Staatsschulden dürfen nicht durch
Geldpolitik finanziert werden."
Die Politiker wissen, dass sich kaum einer offen gegen Weidmann
stellen kann. Denn
der Notenbankchef hat einen starken Verbündeten: das
Volk. Dessen Vertrauen in die Bundesbank ist schier unbegrenzt. "Nicht
alle Deutschen glauben an Gott, aber alle glauben an die Bundesbank",
hat der Ex-Präsident der EU-Kommission, Jacques Delors, einmal gesagt.
Selten war der Spruch so zutreffend wie in der Euro-Krise.
Laut einer ARD-Umfrage aus dem August wollen
nur zwölf Prozent der
Deutschen, dass die EZB verschuldeten Staaten hilft. 39 Prozent sehen
die Aufgabe der Notenbank allein in der Bewahrung der Preisstabilität.
So wie Weidmann.
Jeder dritte wünscht sich sogar die D-Mark zurück.
Das ist das Potential, aus dem Weidmann schöpfen kann. Er ist
beileibe kein charismatischer Redner, eher ein Technokrat, korrekt und
pflichtbewusst. Aber vielleicht ist das genau das Richtige, wenn es
darum geht,
der Gegenseite Unseriosität vorzuwerfen. "Die Bundesbank
kann ihren Rückhalt in der Bevölkerung nutzen", sagt Weidmanns
Doktorvater Neumann, "und sie hat es auch zu D-Mark-Zeiten schon getan."
Gerade wenn es um den Wert ihres Geldes geht, sind die Deutschen sehr
empfindlich.
Noch hat Weidmann die Popularitätskarte nicht gespielt, er hat
allenfalls angedeutet, dass er sie besitzt. Bundesbank-Kenner Neumann
glaubt, dass der Konflikt noch einmal eskalieren könnte. "So etwas hebt
man sich auf, bis es kein anderes Mittel mehr gibt", sagt er. "Dann geht
es am Ende um die Frage, ob man sich durchsetzt oder selbst fällt."
Quelle:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/bundesbank-jens-weidmann-ist-beliebt-bei-buergern-a-853877.html
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